Vom Vinschgau wandern wir zu den italienischen Seen
Gut 800 Kilometer zählen wir in Bozen auf unserem Wandertacho. Über 6 Wochen sind wir nun schon unterwegs. Wo ist bloß die Zeit geblieben? Die unzähligen Impressionen der letzten anderthalb Monate sind nicht einmal ansatzweise verdaut und so entschließen wir uns, in der Südtiroler Landeshauptstadt zwei ganze Pausentage einzulegen.
Tag eins wird dem Neukauf von gewissen Ausrüstungsgegenständen gewidmet. Zwei meiner Sockenpaare sind die 800 Kilometer weniger gut bekommen. Sie haben sich völlig durchlöchert in die ewigen Jagdgründe verabschiedet. Des Weiteren brauchen wir neues Kartenmaterial, um die kommenden Etappen zu planen. Beziehungsweise neu zu planen.
Denn da wir uns an meinem Geburtstag mit der Familie am Comersee treffen möchten, muss die Route etwas umgelegt werden. Und wie so oft, sind genau die benötigten Kartenausschnitte gerade vergriffen. Somit wird aus Pausentag eins, ein 6-stündiger Straßenhatscher durch sämtliche Outdoorgeschäfte Bozens. Nachts gibt es leider auch wenig Erholung. Denn Temperatur und Luftfeuchtigkeit bewegen sich oberhalb meiner Komfortzone und halten sich in diesem Zustand äußerst gerne in unserem Zimmer auf. Schweißgebadet wälze ich mich durch Nacht eins und zwei.
Kraftlos zur Meraner Hütte
So ist es auch wenig verwunderlich, dass der Aufstieg zur Meraner Hütte am nächsten Morgen keine Freude wird. Die Temperaturen sind immer noch unerträglich heiß. Der Aufstieg bis zum Möltner Kaser ist für mich eine ziemliche Quälerei. Den richtigen Tritt will ich heute einfach nicht finden. Für die Schönheiten der Sarntaler Alpen bin ich daher wenig aufnahmefähig. Dafür entschädigt die nette Gesellschaft auf der Meraner Hütte für das körperliche Befinden. Zwei Freundinnen aus Bayern und wir bilden die einzige Wanderfraktion, die nicht auf dem E5 von Oberstdorf nach Meran bzw. Bozen unterwegs ist.
Nachdem der letzte Tag eher wolkenverhangen war, empfängt uns der Zielort einer stark frequentierten Alpenüberquerung mit strahlendem Sonnenschein. Lange wollen wir aber nicht in Meran bleiben. Zum einen ist es auch hier unerträglich heiß und zum anderen wollen wir heute noch weiter zum Hochganghaus. Am Anfang unseres Aufstieges passieren wir schweißgebadet zahlreiche Hotelanlagen. Die türkis schimmernden Pools und Badelandschaften hätten nicht verlockender aussehen können. Schon schmieden wir Pläne, wie man am geschicktesten über die Hecke in den Pool springen könnte. Inklusive ausgetüftelter Exit-Strategie.
Im Vinschgau wandern wir auf dem Meraner Höhenweg
Aber mit jedem Höhenmeter sinkt glücklicherweise auch das Verlangen die Badelandschaften fremder Hotels zu entern. Auf dem Hans-Frieden-Weg, der auf unserer Karte unverständlicherweise als schwieriger Steig eingezeichnet ist, betreten wir schließlich den Meraner Höhenweg. Von hier oben ist das Etschtal und Vinschgau traumhaft zu überblicken. Mittlerweile sind wir körperlich aber ziemlich platt und entscheiden uns die letzten 1,5 Stunden bis zum Hochganghaus äußerst gemütlich zu wandern.
Ein Blick aus dem Fenster der Hüttenlagers lässt nochmal einen Rückblick zu den markanten Spitzen des Rosengartens zu. Obwohl die Dolomiten noch so nah scheinen, hat sich die Landschaft in den letzten beiden Tagen unwahrscheinlich gewandelt. Die Berggipfel sind weniger schroff und es finden sich wieder deutlich mehr Waldflächen in den unteren Etagen der Bergflanken. Nur ungern reiße ich mich von der Aussicht los, aber der Hunger ist einfach zu stark. Die Gastfreundlichkeit des Hüttenteams spiegelt sich leider nicht in der Zubereitung der Speisen wieder. Selten habe ich so fade Spaghetti mit Tomatensoße gegessen. Und das in Italien…Mamma Mia!
Die schönen und schmalen Wanderpfade des Meraner Höhenweg verlassen wir am nächsten Tag leider schon wieder, als wir mittags nach Naturns absteigen. Die körperliche Erschöpfung hat bei uns beiden jedoch leider nicht so richtig nachgelassen. Seit Bozen fühlen wir uns einfach schlapp und kraftlos. Also entscheiden wir uns den Weg bis nach Prad am Stilfser Joch, im Tal auf Rad- und Schotterwegen zurück zulegen. Aber die langen Straßenhatscher über teils endlos geradeaus führende Pisten sind nicht weniger anstrengend. Im Gegenteil. Das erst Mal seit dem Salzsteigweg, schmerzen meine Füße richtig am Nachmittag. Verdammter Asphalt! Gesäumt von zahllosen Apfelplantagen gibt es auch am Wegesrand wenig spannendes zu beobachten. Eine große Sonnenblume zwischen all den Obstbäumen wird da schnell zum Tageshighlight.
Ortlerblick am Goldseeweg
In Prad angekommen, können wir es nun gar nicht mehr abwarten endlich wieder auf schmalen Pfaden in den Berge zu kommen. Obwohl die nächste Etappe mit knapp 2000 Aufstiegshöhenmetern zum Stilfser Joch sportlich bemessen ist, ist sie eine der Schönsten der gesamten Tour! Denn bei wolkenlosem Sommerhimmel zeigt sich König Ortler von seiner beeindruckensten Seite. Der 3905 Meter hohe Gipfel ist stark vergletschert und ragt wie eine steile Pyramide in den Himmel empor. Ein Berg wie er im Bilderbuche steht. Auf dem Goldseeweg haben wir ihn ununterbrochen im Blick. Die Erschöpfung ist wie weggeblasen und wir haben keinerlei Probleme mit dem langen Aufstieg. Wetter und Aussicht dürften ebenfalls ihren Betrag dazu geleistet haben.
Obwohl man sie kaum sehen kann, ist der Lärm der Passstraße schon deutlich zu hören. Einige Höhenmeter später, wissen wir dann auch warum. Duzende Fahrzeugkolonnen schlängeln sich mal mehr oder weniger schnell die 48 nummerierten Kehren bis auf 2757 Meter hoch. Für den unüberhörbaren Lärm sind hauptsächlich die flinken Motorräder verantwortlich. Für das Schneckentempo meist die Wohnmobile oder Wohnwagen. Von unserem Pausenplatz lässt sich das motorisierte Treiben hervorragend beobachten. Bei dem ganzen Gewimmel bin ich einmal mehr froh, zu Fuß und nur mit einem Rucksack unterwegs zu sein.
Die aus Beton gestanzten Seilbahn- und Hotelgebäude sehen einerseits vollkommen deplatziert aus, passen andererseits jedoch farblich recht gut zu dem gräulichen Gestein der Berge und Felsen. Das skurrile, aber von Innen sehr schöne, Rifugio Garibaldi passt mit seiner Burg-Fassade optimal in dieses Skizirkus-Kabinett. Zum ersten Mal seit unserer Einreise nach Italien, kommen wir hier nicht mehr mit Deutsch weiter. Wurde im Vinschgau noch bevorzugt Deutsch gesprochen, ist davon 10 Kilometer weiter südlich nichts mehr zu spüren. Ironischerweise wird auf der Dreisprachenspitze nur auf italienisch kommuniziert, was uns anfangs vor einige Probleme stellt.
Auf der Via Alpina in die Schweiz
Mit Händen, Füßen, Englisch und 4 Wörtern Italienisch kommen wir aber gut und nebenbei äußerst schmackhaft über den Abend. Das reichhaltige Essen hilft jedenfalls für die Etappe des nächsten Tages. In 29 Kilometern geht es sehr aussichtsreich auf der roten Via Alpina bis nach Arnoga. Auf der schweizerisch/italienischen Grenze steigen wir erst zum Umbrailpass ab und queren dann die Flanke des gleichnamigen Berges. Bei schönstem Wetter passieren wir die Furka Scharte, wandern ins Furka Tal und zum türkisblauen Lago di Cancano.
Während nach einer kurzen Mittagsrast am Rifugio Monte Scale die schönen Wanderpfade enden, rückt ein wahrhaft schöner Felsriese ins Blickfeld. Der Cima dei Piazzi ist mit 3439 Metern der höchste Gipfel der Livigno-Alpen und ebenfalls vergletschert. Ähnlich wie der Ortler, versüßt uns sein Anblick den langen Weg zum Tagesziel. Die langen Etappen werden auch die nächsten Tage nicht kürzer. Das kurze Intermezzo bei den Eidgenossen fällt mit 34 Kilometern ebenfalls nicht wirklich in die Kategorie “entspannte Wanderung”. Landschaftlich ist der Weg dafür ein wahrer Augenschmaus. Allen voran der Lago di Saoseo mit seiner kristallklaren Seeoberfläche. Anstatt nach Poschiavo, wandern wir noch 5 Kilometer weiter und kommen am frühen Abend im Albergo in Selva an.
So schön es auch in der Schweiz für 18 Stunden war: Unsere Wanderkasse freut sich, als wir am nächsten Tag am Passo Cancian wieder nach Italien einreisen. Der Blick auf unseren ersten zu sichtenden 4000er ist wetterbedingt leider etwas versperrt. Der Piz Bernina versteckt sich hinter einer leichten Wolkendecke. Der Pizzo Scalino auf der anderen Seite gibt aber ebenfalls eine beeindrucke Gestalt ab und begleitet uns bis zum Rifugio Runcasch. Dort angekommen, fällt erneut etwas Planungarbeit an. Die kommenden Tage sollen von Regen und Gewitter beherrscht werden. Grund genug unsere Route zum Comersee etwas anders zu legen als geplant.
Familientreffen am Comersee
Somit steigen wir am nächsten Tag über Campo Moro und Chiesa in Valmalenco bis kurz vor Sondrio ab. Mückenattacken, Regen, Gewitter, Asphaltstraßen und unzählige bellende Hunde können unsere Motivation aber nicht brechen und so wandern wir an diesem Tag 36 Kilometer weit. Bei 2200 Abstiegshöhenmetern. Trotz guter Laune sind wir am späten Nachmittag ziemlich gezeichnet, als wir in Castione Andevenno eintreffen. Mehr als Duschen, ein kleiner Snack und Schlafen sind dann schon nicht mehr drin. Dafür sind wir nur noch 2 Tage von der Küste des Comersees entfernt!
Diese zwei Tage locken neben schwül-warmen Gewitterwetter leider auch wandertechnisch niemanden mehr hinter dem Ofen hervor. Musik anstellen und einen Fuß vor den anderen setzen lautet daher die Devise. Die Vorfreude auf unsere Familien und den anstehenden Geburtstag lassen auch den längsten Straßenhatscher erträglich werden. Und so stehen wir nach insgesamt 1100 Wanderkilometern an den Ufern des Lago di Como und sind überglücklich!
Diesmal waren die 2,5 Pausentage auch wirklich erholsam und wir starten mehr als gestärkt auf den Weg nach Menaggio. Mein Geburstagsgeschenk ist nämlich eine Übernachtung im schnieken Hotel Merloni. Besonders hervorzuheben ist dabei natürlich ein für uns überaus luxuriöses Ausstattungsmerkmal: Der POOL!
Zudem gab es für mich ein neues Paar Schuhe! Das alte Paar war nach etwas mehr als 1100 Kilometer doch schon etwas ausgelatscht.
Vom Lago Maggiore zur GTA
Unser nächstes Abschnittsziel lautet: Grande Traversata delle Alpi. Kurz: Die GTA. Um aber von unserem Standort dort hinzu gelangen, können wir nicht auf einen weiteren Fernwanderweg zurückgreifen. Die rote Via Alpina ist nun schon zu weit nördlich, als das wir sie geschickt erreichen könnten. Somit bleibt uns nichts anderes übrig, als jeden Tag aufs neue unseren Weiterweg zu planen. Ganz so einfach ist das jedoch leider nicht. Denn die Anzahl an gut markierten und frei geschnittenen Wanderwegen zwischen dem Comersee und dem Lago Maggiore ist gelinde gesagt, übersichtlich.
Oft enden Wanderpfade ohne Vorwarnung völlig zugewucherten oder sind durch einen Erdrutsch abgesackt. Zudem kommt die Genauigkeit unserer KOMPASS Karten an ihre Grenzen. Einige eingezeichnete Wege existieren einfach nicht und manch schönem Wanderpfad dem wir folgen, finden wir nicht in der Karte wieder. Langweilig wird es also nie! Von Menaggio am Comersee gelangen wir so in 4 Tagen über Dasio, Lugano, Brissago-Valtravaglia nach Laveno am Lago Maggiore. Dort ist die Lichtstimmung nach dem alltäglichen Nachmittagsgewitter einmalig. Die Sicht auf die Berge des Piemont verstärkt unsere Vorfreude auf die GTA nur noch mehr.
Von Laveno-Mombello gönnen wir uns den Luxus einer Fährüberfahrt und sparen uns so den ewig langen Umweg um den Lago Maggiore. Auf halben Weg etwa, verlassen wir die Lombardei und finden uns nun im Piemont wieder. Angelegt wird in Baveno auf der anderen Seeseite. Die restlichen 15 Kilometer bis Omegna legen wir in brütender Hitze wieder zu Fuß zurück. Mit der Gewissheit, dass es nun nur noch eine Etappe bis zu unserem Einsteig in die GTA ist, schlafen wir in Seelenruhe ein.
Soweit für den siebten Teil des Wander Berichtes unserer Alpenüberquerung von Wien bis nach Nizza. In den nächsten Wochen kommen dann die anschließenden Teile. Momentan befinden wir uns schon wieder in der Heimat. Am 08. September haben wir nach 107 Tagen das Mittelmeer und Nizza erreicht!!!
Möchtest Du mehr über unsere Wanderung erfahren, dann schau doch einfach auf Facebook oder Instagram vorbei. Dort werde ich auch jetzt noch alle 1-2 Tage ein paar Bilder zu der Tour hochzuladen.
Zu den anderen Artikeln dieser Alpenüberquerung:
- Etappen 1 – 6: Der Start in Wien
- Etappen 7 – 13: Erste Gewitter
- Die Sache mit dem Knöchel…
- Etappen 14 – 24: Der Salzsteigweg – Eine Hassliebe
- Etappen 25 – 32: Der Südalpenweg
- Etappen 33 – 41: Von Sexten nach Bozen – Die Dolomiten-Durchquerung
- Etappen 42 – 58: Vom Vinschgau bis ins Piemont
- Etappen 59 – 72: GTA – Von Forno bis Talosio
- Etappen 73 – 78: Rocciamelone – Der höchste Punkt der Reise
- Etappen 79 – 94: Die Ankunft in Nizza
- Alle Informationen zu der Alpenüberquerung zu Fuß
mit Begeisterung (und auch mit etwas Neid) habe ich eure Route bereits bei Facebook verfolgt und auch hier alle Reiseberichte gelesen
ich freue mich über weitere Berichte der route hier (Seealpen folgen noch?)
VG
Ernst
Hi Ernst,
das freut mich sehr zu hören!
Genau, die nächsten Artikel folgen in den nächsten Tagen und Wochen.
LG Alex